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Morgens in der „Teestube“

Bei der Pfarrer-Landvogt-Hilfe in Mainz finden Menschen am Rande der Gesellschaft jeden Tag eine offene Tür.
Ein Besuch in der „Teestube“ für die Adventsaktion „Türen auf – Warten auf Weihnachten“ des Bistums Mainz.

Hinter den Fensterscheiben im Franz Adam Landvogt-Haus brennt Licht. Es ist kurz vor acht Uhr morgens. Die Türen der karitativen Einrichtung sind noch geschlossen. Drinnen räumen Menschen eifrig Teller und Tassen aus den Schränken. Draußen warten die ersten Gäste der „Teestube“. Unter diesem Namen bietet die Pfarrer-Landvogt-Hilfe (PLH) jeden Morgen zwei Stunden lang einen Ort zum Aufwärmen und Frühstücken an. Auch am Abend ist die Einrichtung anderthalb Stunden geöffnet. Rund 50 bis 70 Menschen, meist Wohnungslose, nutzen das Angebot. Die Einrichtung ist auf der Mainzer Zitadelle untergebracht, in einem Nebengebäude des historischen Festungswerks aus dem 17. Jahrhundert hoch über der Mainzer Innenstadt. Vor elf Jahren bezog die „Teestube“ den Standort.

An diesem Morgen bereiten vier Ehrenamtliche das Frühstück vor. Die ersten Gäste nehmen ihre Plätze ein, auch ein paar Frauen sind darunter. Dass die „Teestube“ einen kirchlichen Hintergrund hat, ist am Kreuz zu erkennen, das hinten im Saal hängt. Darunter brennt auf einem Tisch die Osterkerze. Von der Wand gegenüber blickt Pfarrer Landvogt, eingerahmt im Bild, herab. Die große Uhr über der Theke zeigt 8.20 Uhr. In zehn Minuten ist Frühstücksbeginn, die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. „Ein bisschen wie im Restaurant“, sagt Chi-Su Kuller lachend. Seit 2019 hilft sie ehrenamtlich mit. „Ich gebe ein bisschen Zeit, um viel zu bewirken“, sagt sie. Durch die Küche zieht der Duft frischer Waffeln, die Kerstin Müller aus dem Waffeleisen holt. „Die gibt es nicht jeden Morgen“, ruft sie und gießt die nächste Kelle Teig aufs Eisen. Später legt sie ein Waffelstück auf einen Teller zum Probieren: Köstlich. Am Suppentopf steht Peter Kunkel und wacht über die heiße Brühe und öffnet nebenbei Tüten mit Lebensmittel. Willi Schuth schneidet Brot im Akkord mit einer Maschine. Der Mitarbeiter der Mainzer Cityseelsorge ist ehrenamtlich bei der „Teestube“ tätig und gehört seit vielen Jahren zu den Helfern.

 

Pfarrer-Landvogt-Hilfe : Das Team der Ehrenamtlichen in der Küche

Insgesamt engagieren sich rund 65 Ehrenamtliche in den Teams der verschiedenen Schichten. Die „Teestube“ ist 365 Tage im Jahr geöffnet. Zur Einrichtung gehören weitere Räume, die die Gäste nutzen können: ein Raum mit Waschmaschinen und Spinden sowie ein Waschraum mit Duschen. Darüber hinaus gibt es Lagerräume für Kleidung, vor allem frische Wäsche, Schlafsäcke und Isomatten, die die Helfer bei Bedarf ausgeben.

Die Zeiger der Uhr stehen fast auf halb neun. Auf Pünktlichkeit legt das Ehrenamts-Team wert. Auf der Theke reihen sich Teller, Schüsseln und Tabletts, bestückt mit Käse, Wurst, Brot, Obst und vielem mehr. „Alles ist kostenlos, nur für den Kaffee nehmen wir pro Tasse zehn Cent“, erläutert Willi Schuth. Kommen kann jeder, einen Bedürftigkeitsnachweis braucht niemand vorzeigen.

Es ist 8.30 Uhr. „Ihr könnt an die Theke kommen“, ruft Willi Schuth in den Saal. Die Gäste wählen ihr Essen und bekommen es von den Helfern gereicht. Wie spricht man sich hier an? „Zu den meisten sage ich Sie, aber manche kennt man und duzt sie und fragt auch mal: Was gibt’s Neues?“, antwortet Kerstin Müller. Über ihre Motivation zu helfen sagt sie: „Es macht mir Spaß. Mich interessiert auch die Frage, warum Menschen wohnungslos werden.“ Was sie in den sieben Jahren ihres Engagements gelernt hat? „Es gibt unendlich viele Gründe, warum Menschen auf der Straße leben. Das hätte ich vorher so nicht gedacht. Im Grunde kann das jedem passieren.“

 

Die Geschichte von Volkmar

Fotografiert werden will Volkmar nicht. Auch seinen vollen Namen möchte er nicht nennen. Aber etwas über sein Leben mitteilen, das macht der Besucher der „Teestube“ gerne. Volkmar ist wohnungslos, lebt auf der Straße. „Drei bis vier Mal die Woche komme ich morgens in die Teestube“, erzählt er. Volkmar hält sich nicht nur in Mainz, sondern auch in anderen Städten der Region auf und nutzt dort soziale Einrichtungen. „Meinen Spind habe ich in Darmstadt.“ Die „Teestube“ findet er einmalig, „so etwas in dieser Art gibt es woanders nicht. Die Ehrenamtlichen sind sehr herzlich. Hier habe ich ein paar Mal Weihnachten gefeiert, das war königlich. Hier bin ich Mensch und kein Klient“, schwärmt er. Von den Teestuben-Öffnungszeiten bevorzugt Volkmar den Morgen. „Das ist meine Zeit, eine halbe Stunde für mich. Das geht anderen doch sicher auch so, oder?“ Das Ambiente in der Teestube schätzt er und auf die heiße Brühe, die hier serviert wird, freut er sich. Auf die Frage, wo er übernachtet, antwortet der 56-Jährige: „Zwischen Tür und Angel. Meist im Freien. Im Winter und bei schlechtem Wetter muss ich sehen, dass der Platz überdacht ist.“ Wie lange schon? „Gut zehn, zwölf, 13 oder 14 Jahre“, versucht Volkmar sich zu erinnern. „Ab und zu habe ich Fuß gefasst. Aber inzwischen habe ich mich mit der Situation abgefunden.“ Von seinem Werdegang erzählt er, dass er in Groß-Gerau geboren ist. Groß- und Außenhandelskaufmann hat er gelernt. „Aber ich habe immer als Verkäufer gearbeitet, das hat mir nie Spaß gemacht. Dann wurde die Firma zugemacht.“ Das Geld habe nie gereicht. Bei einer neuen Firma kündigte er und lebte von Hartz IV. „Jetzt bekomme ich Bürgergeld.“ Ein „normales“ Leben? „Manchmal fehlt es einem schon“, sagt er lächelnd. Besonders schmerzt ihn, dass er keinen Kontakt zu seinen Geschwistern hat, besonders zu seinem Bruder und den beiden Neffen. Was er sich für wünscht? „Dass ich gesund bleibe, meinen Humor behalte“, antwortet Volkmar, „und dass mein Bruder mir mal zufällig über den Weg läuft.“ 

Von Anja Weiffen

Pfarrer Landvogt Hilfe

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