Schmuckband Kreuzgang

Das Wort zum Sonntag

Texte: 1 Joh 4, 7-10 und Joh 15, 9-17

Pfarrer Karl Zirmer (c) Markus Schenk, Büttelborn
Pfarrer Karl Zirmer
Datum:
Fr. 3. Mai 2024
Von:
Pfarrer Karl Zirmer

Mit einer Geschichte möchte ich beginnen. Ein altes Märchen erzählt, wie ein junger, wissbegieriger König die Gelehrten seines Landes beauftragte, für ihn alles Wissenswerte der Welt aufzuschreiben. Sie machten sich bald an die Arbeit. Nach 40 Jahren legten sie das Ergebnis in tausend Bänden vor. Der König, der inzwischen schon 60 Jahre alt geworden war, sagte: „Tausend Bücher kann ich nicht mehr lesen. Kürzt alles auf das Wesentliche.“ Nach 10 Jahren hatten die Gelehrten den Inhalt der Geschichte der Menschen in 100 Bänden zusammengefasst. Der König sagte: „Das ist immer noch zu viel. Ich bin schon 70 Jahre alt. Schreibt nur das Wesentliche.“

Die Gelehrten machten sich erneut an die Arbeit und fassten das Wichtigste in einem einzigen Buch zusammen. Sie kamen damit, als der König schon im Sterben lag. Dieser wollte wenigstens das Allerwichtigste aus der Arbeit der Gelehrten erfahren. Das fasste der Vorsitzende der Gelehrtenkommission das Wesentlichste der Geschichte der Menschheit in einem einzigen Satz zusammen: „Sie lebten, sie litten, sie starben. Und was zählt und überlebt ist die Liebe!“

Das Einzige, was zählt, ist die Liebe! Liebe ist das unerschöpfliche Thema der Menschen. Liebe- es gibt kein größeres Wort. Es gibt keines, das so oft gebraucht wird und so viel missbraucht wird. Was wird nicht alles Liebe genannt: oft es ist nur purer Egoismus oder unersättliche Triebbefriedigung! Auf der anderen Seite: Wie viel großartiger Liebe begegnen wir! Wie viele Menschen verzehren sich im Dienst an ihren Mitmenschen, im Dienst an den Notleidenden, an den Kranken, an den Behinderten!

Liebe ist auch das unerschöpfliche Thema unseres Glaubens. Die Lesung und das Evangelium dieses Sonntags sprechen über dieses Grundthema unseres Glaubens: Wir leben, weil Gott uns liebt, und wir leben richtig, wenn wir auf diese Liebe durch die Liebe untereinander antworten.

„Gott ist die Liebe“ (1 Joh 4,8). Das ist die einfachste und die tiefste Beschreibung Gottes. Das ist das wichtigste Wort der Bibel. Daran hängt alles. „Nicht darin besteht die Liebe, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt und seinen Sohn in die Welt gesandt hat“ (vgl. 1 Joh 4,10).

In einem bekannten Lied heißt es: „Liebe ist nicht nur ein Wort. Liebe, das sind Worte und Taten.“ Brautpaare wünschen sich dieses Lied oft zu ihrer Trauung. Verständlich. Denn Liebe muss getan werden, nur so kann sie überzeugen.

In dem Zusammenhang sprechen die Kirchenväter gerne vom fünften Evangelium. Gemeint ist nicht eines der sogenannten apokryphen Evangelien. Davon gibt es viele: das Thomas-Evangelium, das Petrus-Evangelium, das Protoevangelium des Jakobus oder Evangelium der Maria Magdalena.

Das fünfte Evangelium im Sinne der Kirchenväter ist nichts anderes als das Leben der Christen, die damit ein lebendiges Zeugnis von ihrem Glauben an Jesu und seine Botschaft geben.

Wie es in einem alten Gebet heißt:

„Christus hat keine Hände, nur unsere Hände,

um seine Arbeit heute zu tun.

Er hat keine Füße, nur unsere Füße,

um Menschen auf seinen Weg zu führen.

Christus hat keine Lippen, nur unsere Lippen,

um Menschen von ihm zu erzählen.

Er hat keine Hilfe, nur unsere Hilfe,

um Menschen an seine Seite zu bringen.

Wir sind die einzige Bibel, die die Öffentlichkeit noch liest.

Wir sind Gottes letzte Botschaft, in Taten und Worten geschrieben.“

Die Texte des heutigen Sonntags sind eine dringliche Einladung an uns, an diesem fünften Evangelium mitzuschreiben und weiterzuschreiben. Deshalb seine vielen Aufrufe wie „Bleibt in meiner Liebe“ (Joh 15,9) und „Liebt einander wie ich euch geliebt habe“ (Joh 15,12.17). „Ich habe euch dazu erwählt und bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt“ (Joh 15,16).

Dieses Leben zeigt sich zunächst darin, wie wir in unseren Gemeinden miteinander umgehen. Von den ersten Christen wurde gesagt: „Seht, wie sie einander lieben?“ Kann man das auch von uns sagen? Ich fürchte, eher nicht.

Die Liebe, zu der Christus uns einlädt, soll Gestalt annehmen in unseren Herzen, in unseren Beziehungen, in unserem Alltag, in unserem Einsatz für Menschen, die unsere Solidarität und Hilfe brauchen, aber auch im engagierten Einsatz für gerechte Lebensmöglichkeiten für alle.

Liebe besteht im Geben, nicht im Nehmen. Auch der Schlagersänger singt: „Dein ist mein ganzes Herz.“ Und das sagt uns, wo die wahre Liebe zu finden ist. Nicht in der so genannten Selbstverwirklichung, sondern in der Hingabe an den anderen.  

Wer liebt, der weiß: Ich werde durch Schenken nicht ärmer, sondern reicher. Je mehr sich Liebe verschenkt, umso größer wird sie. Die Kraft dazu schöpfen wir aus Gottes Liebe zu uns. Wenn wir seine Liebe annehmen, werden wir auch fähig, sie weiter zu schenken.

Schließen möchte ich mit einem Gebet, in dem diese Gedanken zusammengefasst und weiter vertieft werden. Sie finden dieses Gebet im GOTTESLOB unter der Nr. 19,4.

„Herr, lass mich trachten,

nicht, dass ich getröstet werde, sondern dass ich tröste;

nicht, dass ich verstanden werde, sondern dass ich verstehe;

nicht, dass ich geliebt werde, sondern dass ich liebe.

Denn, wer sich hingibt, der empfängt;

wer sich selbst vergisst, der findet;

wer verzeiht, dem wird verziehen;

und wer stirbt, der erwacht zum ewigen Leben“.

A m e n.