Vom Wunder des Lebens

Brief an die Gemeinden über eine Grundfrage der gegenwärtigen bioethischen Diskussion

Datum:
Mittwoch, 13. Februar 2002

Brief an die Gemeinden über eine Grundfrage der gegenwärtigen bioethischen Diskussion

Hirtenwort des Bischofs von Mainz
Karl Kardinal Lehmann
zur Österlichen Bußzeit 2002

Inhalt

Hirtenwort

Zur gegenwärtigen bioethischen Diskussion
Volles Menschsein von Anfang an
Faszination über das vorgeburtliche Leben
Staunen vor dem Wunder des Lebens – folgenlos
Vorschlag für Fürbitten
Anhang: Arbeitshilfen
Gebete

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn!

I. Zur gegenwärtigen bioethischen Diskussion

Seit einiger Zeit wird nicht nur in unserem Land, sondern in weiten Teilen Europas und der Welt über den Anfang des menschlichen Lebens und den Umgang mit ihm heftig diskutiert. Der Deutsche Bundestag hat nach intensiver öffentlicher Meinungsbildung am 30. Januar 2002 in der Frage des Imports und der Forschung im Blick auf sogenannte embryonale Stammzellen eine erste Abstimmung durchgeführt, die möglichst bald durch einen entsprechenden Gesetzesbeschluss rechtlich verbindlich gemacht werden soll. Weitere Grundprobleme stehen demnächst zur Verhandlung und Entscheidung an. So die Präimplantationsdiagnostik, mit der ein im Reagenzglas erzeugter Embryo auf seine erbliche Belastung hin überprüft und evtl. ausgesondert wird. Andere heiße Eisen sind mögliche voraussagende Gentests an Arbeitnehmern oder auch im Blick auf die Aufnahme in eine Kranken- oder Lebensversicherung. Schließlich geht es auch um das Klonen, wodurch menschliche Embryonen hergestellt werden, unter Umständen auch die vollständige Herstellung der genetischen Kopie eines schon bestehenden Menschen.

Seit fast 30 Jahren ist intensiv und in mehreren Phasen über die Würde und den Schutz des menschlichen Lebens am Beginn seiner Existenz diskutiert und politisch entschieden worden. Mehrfach hat das Bundesverfassungsgericht in die Gesetzgebungsverfahren eingreifen müssen. Unsere derzeitigen rechtlichen Bestimmungen zum Schwangerschaftsabbruch sind das Resultat. Jetzt geht es jedoch nicht um die Abtreibung des ungeborenen Kindes, sondern um die Forschungsmöglichkeiten am vorgeburtlichen menschlichen Leben in der Frühzeit. Nicht wenige vertreten eine Öffnung zugunsten einer solchen Forschung, auch wenn dabei Embryonen „verbraucht", d.h. getötet werden, nachdem nun einmal durch die Abtreibungsgesetzgebung eine gewiss bedingte, aber eben doch rechtlich gültige Freigabe des menschlichen Lebens im Mutterschoß erfolgt sei. Man brauche die menschlichen Embryonen der ersten Tage doch nicht mehr zu schützen als das schon weiter entwickelte Leben.

Die damit verbundenen Sachfragen sind über viele Monate intensiv nach allen Seiten besprochen worden. Die Meinungen der Menschen und so auch der Politiker in unserem Land sind ähnlich geteilt wie bei der Abtreibungsdiskussion. Unsere Gesellschaft ist in dieser Frage tief gespalten. Auch wenn die erzielten Kompromisse ethisch inakzeptabel und auch praktisch fragwürdig sind, darf man die weithin faire Diskussion dankbar zur Kenntnis nehmen. Die evangelischen und die katholischen Kirchenleitungen haben in einem hohen Maß klare Maßstäbe gesetzt. In unserer Kirche sind wir dankbar, dass wir diese Stellungnahmen auch in einer sehr hohen Übereinstimmung mit den theologischen Fachleuten ausarbeiten und veröffentlichen konnten. Wir sind enttäuscht, dass wir trotz dieser großen ökumenischen und theologischen Übereinstimmung bei den Abgeordneten eine zwar beträchtliche, aber eben für die Entscheidung nicht ausreichende Zustimmung erhielten. Wir werden dennoch in unseren Bemühungen nicht nachlassen, wie wir dies immer auch für die Abtreibungsfrage erklärt haben.

Im Rahmen eines Hirtenwortes ist es nicht möglich und aufgrund der Veröffentlichungen (vgl. das angefügte Verzeichnis der Arbeitshilfen) auch nicht notwendig, in diesem Zusammenhang auf einzelne Fachprobleme einzugehen. Aber eine Grundfrage, die eher verborgen ist, jedoch unterschwellig alle Antworten bestimmt, sind die anthropologische und ethische Einschätzung des Embryo („Status") und der Umgang mit dem menschlichen Leben.

 

II. Volles Menschsein von Anfang an

Es ist schon eine uralte, aber auch bleibende Einsicht, dass wir menschliches Leben nicht einfach herstellen können. Wenn Eltern ein Kind zeugen, sind sie bei aller Aktivität letztlich doch dienende Werkzeuge. Über das Entstehen von Leben können wir höchstens im Blick auf den Zeitpunkt, aber nicht grundlegend verfügen. Wir sind immer schon – auch bei allen künstlichen Eingriffen – darauf angewiesen, dass Leben von selbst wird. Darum hat man auch schon früh Leben dadurch bestimmt, dass es sich selbst bewegt und ein Ziel in sich selber hat. So sprechen wir dem Leben auch ein ursprüngliches Selbstsein zu.

Dies gilt grundsätzlich für alles, was lebt. Darum haben wir auch Respekt, Verantwortung und schließlich Ehrfurcht vor dem Leben. Dies gilt nicht zuletzt z.B. für die Erhaltung der Vielfalt der Pflanzenarten, aber auch für den Tierschutz. Beim Menschen gelangt diese Rücksicht zu einem Höhepunkt. Dabei sind viele Religionen überzeugt, dass dieses Leben, das der Mensch nicht schlechthin herstellt, das Geschenk eines schöpferisch tätigen Gottes ist, der auch der Herr des Lebens ist. Nicht nur die biblischen Religionen gehen davon aus, dass der Schöpfergott dem Menschen unmittelbar einen Lebensatem, also ein Lebensprinzip verleiht, das dem individuellen Lebewesen eine „Seele" und Unsterblichkeit mitteilt. Darum ruft Gott jeden Menschen – ganz unabhängig von seiner sozialen Situation oder von Beeinträchtigungen, wie z.B. Krankheit und Behinderung – bei seinem Namen und nimmt ihn durch diese personale Zuwendung auch unter einen besonderen Schutz. Die Menschenwürde ist dabei jedem menschlichen Lebewesen schon vor allem sichtbaren Eintritt in die menschliche Gesellschaft unauslöschlich zu eigen. Wir können diese Menschenwürde achten und verteidigen, mit Füßen treten und verletzen, aber wir können sie niemals aufheben und wegnehmen. Letztlich wurzelt sie in der biblischen Aussage, dass der Mensch Ebenbild Gottes ist.

In der näheren Deutung des zeitlichen Beginns des menschlichen Lebens gab es im christlichen Bereich verschiedene Auffassungen, die zum Teil auch vom jeweils gültigen biologischen Weltbild abhängig waren. So war man lange der Auffassung, die menschliche Seele würde erst zu einem späteren Zeitpunkt, also z.B. am 40. Tag, dem Embryo eingestiftet. Dabei hielt man aber daran fest, dass das menschliche Leben von allem Anfang an geschützt werden muss und darum auch keine Abtreibung erlaubt ist. Freilich gab es immer auch Theologen, die gelehrt haben, dass die Beseelung unmittelbar bei der Befruchtung, also der Vereinigung von Ei- und Samenzelle des Menschen, geschieht. Wer eine spätere Beseelung annimmt, vertritt oft die Ansicht, in der frühesten Zeit der Entwicklung des Embryos sei darum ein Spielraum zur Forschung am Embryo gegeben, die auch ethisch seine Tötung einschließen könne. Es ist erstaunlich, wie sehr diese Theorien über den Lebensbeginn auch heute noch vielfach nachwirken oder sogar wieder aufleben.

In den letzten Jahrzehnten hatte sich mehr und mehr die Überzeugung durchgesetzt, dass menschliches Leben mit der Befruchtung beginnt und bereits vom ersten Augenblick an eine Schutzwürdigkeit beansprucht. Es gibt zwar erkennbare Phasen und Einschnitte in der frühen Entwicklung des Embryo, aber keine rechtfertigt die Annahme, zu einem späteren Zeitpunkt beginne erst im vollen Sinne das Menschsein. Dies gilt auch für das wichtige Ereignis, dass der Embryo sich in die Gebärmutter der Frau einnistet (Nidation). Dies ist zwar eine wichtige Voraussetzung, dass der Embryo sich weiter durch Wachstum entfalten kann, aber er hat bereits eine vielfache Eigenständigkeit und damit auch ein eigenes Lebensrecht. Es gibt kein durchschlagendes Argument für eine abgestufte Schutzwürdigkeit.

Ich bin mir bewusst, dass manche dies anders sehen und bestreiten. Die Annahme, dass das Menschsein und die ihm entsprechende Würde bereits von Anfang an dem Embryo zu eigen sind, hat mehr für sich als relativ willkürliche Annahmen eines vollen Menschwerdens erst innerhalb der Entwicklung. Selbst im Zweifel sollte man um der Schutzwürdigkeit des menschlichen Lebens willen einstweilen von der Voraussetzung ausgehen, dass es sich um ein menschliches Wesen handelt, das von Anfang an volle Achtung verdient und darum auch als ein personales menschliches Wesen ein Recht auf Leben hat.

 

III. Faszination über das vorgeburtliche Leben

Die Lebenswissenschaften, wie man sie heute gerne nennt, haben uns in den letzten Jahrzehnten faszinierende Einblicke geschenkt in die Entwicklung eines menschlichen Embryos. Durch die Möglichkeiten einer hochentwickelten Technik können wir auf eine filmische Reise durch den menschlichen Körper mitgehen. Nicht zufällig heißen der Film-Titel z.B. des schwedischen Fotografen Lennart Nilsson „Faszination Liebe" oder ähnlich ein Buch von Rainer Jonas „Der wunderbare Weg ins Leben". Dies gilt nicht nur für die gesamte Entwicklung von der Empfängnis bis zur Geburt, sondern besonders auch in den ersten Stunden und Tagen des menschlichen Embryos. Wir können erkennen, was für eine riskante Reise die mit dem bloßen Auge nicht erkennbare Eizelle von der Befruchtung bis zur Einnistung überstehen muss. Es gibt unendlich viele Gefährdungen, aber gerade dadurch ist es auch ein Wunderwerk, wie das ungeborene Leben in den geglückten Fällen sich durchsetzt. Wie kann aus einer einzigen Eizelle ein solch differenziertes Lebewesen wie ein Mensch entstehen? Von Anfang an suchen plötzlich bestimmte Zellen zueinander den Kontakt, um sich zu verbinden, aber auch ihre je eigene Aufgabe zu übernehmen.

Die Lebenswissenschaften lassen uns teilnehmen an den geradezu dramatischen Veränderungen des Embryos, an der Anlage aller lebenswichtigen Systeme und der früh einsetzenden Ausbildung der Organe. In einer immer wieder erstaunlichen Weise sind von Anfang die späteren Entwicklungen eines Menschen genetisch angelegt. Es darf hier aber nicht auf einen bloßen Automatismus der Entwicklung geschlossen werden. Bei aller Eigenentwicklung, die auch durch die schon frühe Selbststeuerung des Embryos in der Entwicklung ihren Ausdruck findet, ist die Aufnahme in den Mutterschoß ein entscheidendes Ereignis, das für die Zukunft erst weiteres Leben ermöglicht. Diese Abhängigkeit von der Mutter darf aber nicht verdecken, dass der Embryo bereits ein individuelles menschliches Lebewesen ist, das ein eigenes Recht auf seine Existenz hat und darum auch Achtung vor ihm verlangt. Wir wissen, wie einzigartig diese Zwei-Einheit von Mutter und Kind ist. Es wäre darum auch falsch, wenn der Mensch nun selbst im Blick auf diese Entwicklung Zufall spielen möchte und sich in Verkennung der Rechte des Embryos verführen ließe, nicht zuletzt angesichts seiner Kleinheit und Abhängigkeit über ihn zu verfügen. Dabei geht es nicht um ein Verbot von Forschung überhaupt. Im Gegenteil, sie offenbart ja erst in ungeahnter Weise das Wunder des Lebens. Aber es ist uns nicht erlaubt, verbrauchend und damit vernichtend über anderes menschliches Leben zu verfügen, auch und gerade wenn es so winzig ist.

 

IV. Staunen vor dem Wunder des Lebens – folgenlos?

Verstehen wir genügend diese ungewöhnliche Bildersprache der frühesten menschlichen Entwicklung? Was klein und unscheinbar ist – am Anfang nur Bruchteil eines Millimeters –, kann offenbar rasch dazu verleiten, den Embryo nur aus der Perspektive der menschlichen Absichten und Ziele zu verstehen. Er erscheint dann nur als „Zellhaufen". Dies ist eine gefährliche Sprache. Kein Wunder, dass gelegentlich Forscher erklären, wenn man sie auf die Rechte und Würde eines Embryos anspricht, sie wüssten überhaupt nicht, wovon man rede. Wahre Forschung entdeckt ja gerade die abenteuerliche Entstehung eines Menschen. Oder gibt es langsam, auch durch Gewohnheit und Routine, Einstellungen, die dies zurückdrängen und gar vergessen lassen? Oder wie kommt man sonst zur Rede vom bloßen „Zellhaufen"?

Die Faszination vor dem Wunder des Lebens ist nicht nur eine emotionale Angelegenheit oder eine erste Überraschung für den, der noch nichts oder nicht viel weiß. Man lässt das Staunen nicht einfach hinter sich, wenn man Erkenntnisfortschritte macht. Es muss den Forscher bei aller Eigengesetzlichkeit seines Vorgehens wenigstens indirekt begleiten und so gegenwärtig bleiben. Die Einsicht in das Wunderwerk der Natur stärkt die Rechte des Embryos, dem wir mit guten Gründen Personalität zuerkennen.

Dies hat zur Konsequenz, dass uns alle Wege der Erkenntnis und der Forschung offen stehen, aber sie dürfen nicht zur bewussten Tötung eines Embryos führen. Die Würde des personalen Wesens des Menschen besteht gerade darin, dass er niemals in seiner ganzen Existenz für andere Ziele verzweckt und instrumentalisiert werden darf. Daran kann auch ein freilich oft noch wenig begründetes Heilungsversprechen gewiss sehr belastender Krankheiten für die Zukunft nichts ändern. Die Forschungsfreiheit muss von sich aus erkennen, dass ihr hier Grenzen gesetzt sind, die nicht willkürlich von außen gezogen werden. Im Übrigen müssen alternative Forschungswege, die nicht zu solchen Konflikten führen, viel grundlegender vom Staat und der Industrie gefördert werden. Dies gilt z.B. für die durchaus erfolgversprechende Forschung an Stammzellen erwachsener Menschen.

Diese Position ist keine katholische oder christliche Sonderlehre. Man kann sie gewiss auch nicht einfach von den immer interpretationsbedürftigen Ergebnissen empirischer Wissenschaften ableiten. Es gibt jedoch für die vorgetragene Position gerade durch neuere Einsichten viele gute stützende Argumente. Auch wer einer anderen Meinung zuneigt, sollte fair die Gründe für diesen Vertrauensvorschuss zugunsten des Lebensrechtes wenigstens als plausibel anerkennen. Das Embryonenschutzgesetz aus dem Jahr 1990, das damals einstimmig vom Bundestag verabschiedet worden ist, ist ein guter Beleg dafür, dass diese Überzeugungen durchaus verbindliche Werte repräsentieren, die für alle gültig sind. Deshalb dürfen wir es nicht aushöhlen. Auch nicht durch letzen Endes enttäuschende und unhaltbare Kompromisse.

Die Auseinandersetzungen um bioethische Grundprobleme stellt uns angesichts der Erkenntnisse, die wir heute haben können, vor die Frage, ob wir diese Botschaften des Lebens an die Menschheit und jeden Einzelnen gehört und verstanden haben. Der Lebensschutz ist im Vergleich zu den früheren Abtreibungsdebatten nochmals erweitert und vertieft worden. Für den Christen sind dies keine Randfragen oder Probleme bloß für Spezialisten. Immer deutlicher wird uns, wie sehr die Achtung und die Verteidigung des ganzen menschlichen Lebens von der Empfängnis bis zum Tod in die Mitte des christlichen Glaubens gehört. Nicht zufällig heißt eines der wichtigsten Weltrundschreiben von Papst Johannes Paul II. aus dem Jahr 1995 „Evangelium des Lebens".

Ich bitte Sie alle, verehrte und liebe Schwestern und Brüder, sich für diese elementaren Fragen nach dem frühesten menschlichen Leben zu interessieren und sich für seine Würde und Rechte da einzusetzen, wo wir jeweils im persönlichen und beruflichen Feld konkrete Möglichkeiten dazu haben. Vielleicht gelingt es uns allen, mit Hilfe dieser Botschaft vom Leben in noch größerer Verantwortungsbereitschaft mit unserer Sexualität umzugehen. Das „Netzwerk Leben" unseres Bistums versucht besonders bei Schwierigkeiten in ungewollter Schwangerschaft zu beraten und zu helfen. Für diesen Einsatz danke ich allen von Herzen, nicht zuletzt im Namen der ungeborenen Kinder, die zwar noch keine vernehmbare öffentliche Stimme haben, denen wir aber solidarisch unsere Stimme leihen können.

Einen herzlichen Dank möchte ich auch den Räten unseres Bistums und besonders der Diözesanversammlung sagen, die sich in den vergangenen Monaten intensiv mit den Fragen der Bioethik auseinandergesetzt haben. Der aus diesem Diskurs entstandene Impulstext „Was uns umtreibt – Impulse und Fragen zur Ethik des menschlichen Lebens" wird nun gemeinsam mit meinem Hirtenbrief der Öffentlichkeit vorgestellt. Er ist eine gute Hilfe für das gemeinsame Gespräch in den Gemeinden.

Ich danke Ihnen für die Mühe des Zuhörens und Lesens und erbitte für Sie alle, besonders auch den Schwestern und Brüdern, die im Dienst am ungeborenen und geborenen Leben stehen, von Herzen den Segen des Dreifaltigen Gottes,

des + Vaters, des + Sohnes und des + Heiligen Geistes.

Mainz, Aschermittwoch, 13. Februar 2002

Ihr Bischof
Karl Kardinal Lehmann
Bischof von Mainz


 

VORSCHLAG FÜR FÜRBITTEN

AM 2. FASTENSONNTAG, 24. FEBRUAR 2002

ZELEBRANT:

Großer Gott, Quelle des Lebens und Schöpfer der Welt, alles entspringt deiner Liebe. So kommen wir mit unserem Gebet zu dir und tragen Staunen und Dank, Sorge und Hoffnung vor dich hin:

LEKTOR/IN:

Wir bitten für alle Menschen, die du jeweils nach deinem Bild geschaffen hast: für alle, die im Geist der Liebe leben und die frohe Botschaft verkünden - und auch für jene, die den Glauben an dich, den lebendigen Gott, verloren haben.

[nach den einzelnen Fürbitten:]

Gott, Schöpfer des Lebens: Wir bitten dich, erhöre uns.

Wir bitten für alle Menschen, die sich um die Bewahrung der Schöpfung mühen, und auch für jene, die unter der Zerstörung unserer Umwelt leiden müssen.

Wir bitten für alle Menschen, die sich in der medizinischen Forschung engagieren, für jene die im Streben nach Erkenntnis die Spuren deiner Schöpfermacht und das Wunder des Lebens neu entdecken, und auch für jene, die Gefahr laufen, Grenzen zu überschreiten und die Würde des menschlichen Lebens zu verletzen.

Wir bitten für alle Menschen, die sich als Eltern freuen und danken, sich mühen und sorgen um ihre Kinder, aber auch für jene, denen der Wunsch nach Kindern versagt bleibt, die darunter leiden und trauern.

Wir bitten für alle Menschen, die auf heilende Pflege, auf Betreuung und Zuwendung angewiesen sind, um menschenwürdig leben zu können, aber auch für deren pflegende Angehörige und alle, die in Kliniken, Altenheimen, Hospizen und Behinderteneinrichtungen ihren Dienst tun.

Wir bitten für alle Menschen, die schwach, alt oder sterbend sind, aber auch für diejenigen, die ungeboren und ungewollt sterben müssen.

Wir beten für alle Menschen, denen das Leben schwer geworden ist, die Angst vor der Zukunft haben, sich als überflüssig und nutzlos erleben müssen und ausgegrenzt werden, aber auch für jene, die sich über andere erheben, achtlos an den Nöten der Schwachen vorübergehen und auf Kosten anderer leben.

ZELEBRANT:

Guter und treuer Gott, du bist groß und alle deine Werke künden deine Weisheit und Liebe. Den Menschen hast du nach deinem Bild erschaffen. Auf deine heilbringende Nähe vertrauen wir in großer Dankbarkeit heute und alle Tage unseres Lebens bis in Ewigkeit. Amen.

  

ANHANG: ARBEITSHILFEN

Kirchenamtliche Dokumente und Texte

Instruktion der Kongregation für die Glaubenslehre über die Achtung vor dem beginnenden menschlichen Leben und die Würde der Fortpflanzung: Antworten auf einige aktuelle Fragen, 10. März 1987 = Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 74 (Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn); Diese Instruktion wird auch nach ihren Anfangsworten „Donum vitae" (Das Geschenk des Lebens) benannt.

Gemeinsame Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz, Gott ist ein Freund des Lebens. Herausforderungen und Aufgaben beim Schutz des Lebens, Trier-Gütersloh 1989 (Gemeinsames Grundsatzdokument).

Johannes Paul II., Enzyklika „Evangelium vitae". Über den Wert und die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens, 25. März 1995 = Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 120 (Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz).

Gemeinsames Hirtenwort der deutschen Bischöfe zur ethischen Beurteilung der Abtreibung „Menschenwürde und Menschenrechte von allem Anfang an", 26. Sept. 1996 = Die deutschen Bischöfe 57 (Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz).

Päpstliche Akademie für das Leben, Erklärung über die Herstellung sowie die wissenschaftliche und therapeutische Verwendung von menschlichen embryonalen Stammzellen, 25. Aug. 2000, Vatikanstadt 2000.

Wort der Deutschen Bischofskonferenz zu Fragen von Gentechnik und Biomedizin „Der Mensch: sein eigener Schöpfer?", 7. März 2001 = Die deutschen Bischöfe 69 (Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz).

Erste Einführungen und Übersichten

J. Reiter, Menschliche Würde und christliche Verantwortung. Be-denkliches zu Technik, Ethik, Politik, Kevelaer 1989.

Chr. Götz, Medizinische Ethik und katholische Kirche. Die Aussagen des päpstlichen Lehramtes zu Fragen der medizinischen Ethik seit dem Zweiten Vatikanum = Studien der Moraltheologie 15, Münster 2000 (Gesamtdarstellung umfangreiche Sammlung kirchlicher Quellentexte, S.363-624).

S. Graumann, Die Genkontroverse. Grundpositionen. Mit der Rede von Johannes Rau = Herder spektrum 5224, Freiburg i.Br. 2001.

D. Mieth, Die Diktatur der Gene. Biotechnik zwischen Machbarkeit und Menschenwürde = Herder spektrum 5204, Freiburg i.Br. 2001.

M. Gierth (Hg.), Wer bist Du, Mensch? Der Streit um therapeutisches Klonen = Rheinischer Merkur – Edition, München 2001.

H. Zankl, Von der Keimzelle zum Individuum. Biologie der Schwangerschaft = Wissen 2149 (C.H. Beck), München 2001 (Dichte, verständliche Gesamtdarstellung).

J. Rau, Wird alles gut? Für einen Fortschritt nach menschlichem Maß, Berliner Rede des Bundespräsidenten am 18. Mai 2001, Frankfurt 2001.

J. Reiter, Gentechnik. Was sie ist, was sie kann, was sie darf, Leutesdorf 2002

K. Lehmann „Das Recht, ein Mensch zu sein", Referat zur Eröffnung der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz am 24. Sept. 2001 in Fulda (Als Manuskript veröffentlicht, eine erweiterte Fassung mit zahlreichen Literaturangaben erscheint unter demselben Titel in der Reihe „Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz", Heft Nr. 20, im späten Frühjahr 2002, Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz).

J. Reiter, Die genetische Gesellschaft, Limburg-Kevelaer 2002 (Topos-Taschenbuch)

Einige Hinweise auf weiterführende Literatur

R. Spaemann, Personen. Versuche über den Unterschied zwischen ‚etwas‘ und ‚jemand‘, Stuttgart 1996 (Wichtige Überlegungen zu der Frage: „Sind alle Menschen Personen?").

W. Frühwald, Zeit der Wissenschaft. Forschungskultur an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, Köln 1997 (Überlegungen zur Wissensgesellschaft, ihre Verantwortung und ihre Risiken).

L. Honnefelder/P. Propping (Hg.), Was wissen wir, wenn wir das menschliche Genom kennen?, Köln 2001 (Instruktiver Sammelband eines Symposions zu Gentechnik und Genom).

St. E. Winter/H. Fenger/H.-L. Schreiber (Hg.), Genmedizin und Recht. Rahmenbedingungen und Regelungen für Forschung, Entwicklung, Klinik, Verwaltung, München 2001 (Kompetenter und umfassender Überblick mit Texten, Kommentaren und umfangreichen Registern).

R. Spaemann, Grenzen. Zur ethischen Dimension des Handelns, Stuttgart 2001 (Grundlegende philosophische Aufsätze zum Thema).

Chr. Geyer (Hg.), Biopolitik. Die Positionen = edition suhrkamp 2261, Frankfurt 2001 (Sammelband zur bioethischen Debatte vor allem in: Die Zeit, FAZ, Süddeutsche Zeitung, Die Woche, Soziale Welt, weitgehend aus dem Jahr 2001).

E. Herms (Hg.), Menschenbild und Menschenwürde = Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie 17, Gütersloh 2001 (Sammelband des X. Europäischen Theologenkongress von evangelischer Seite 1999 in Wien).

J. Habermas, Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik?, Frankfurt 2001; ders., Glauben und Wissen. Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2001, Frankfurt 2001.

H. Löb, Die zweite Schöpfung. Chancen und Gefahren der Gen-Revolution, München 2001 (Das Buch stellt Segen und Fluch der neuen Technologien in größerem Zusammenhang dar).

Viele Titel enthalten jeweils eine Erklärung der Fachausdrücke und weitere Literaturhinweise.

Die Bischofskonferenz stellt im Anschluss an die gleichnamige Erklärung ein Faltblatt „Der Mensch: sein eigener Schöpfer?" (Bonn 2001) zur Verfügung (Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Postfach 29 62, 53019 Bonn, www.dbk.de).

 

 

GEBETE

PSALM 8 (in einer Übersetzuung nach Romano Guardini)

Herr, unser Herr, wie wunderbar ist auf der ganzen Erde Dein Name,
der du über die Himmel Deine Hoheit erhebst!
Im Munde der Kinder und Säuglinge hast Du Dir Lob bereitet,
Deinen Feinden ins Angesicht,
dass Gegner und Widersacher verstummen müssen.
Blick ich auf Deine Himmel, das Werk Deiner Hände,
den Mond und die Sterne, welche Du unvergänglich geschaffen:
was ist der Mensch, dass Du seiner gedenkst,
des Menschen Sohn, dass Dir an ihm liegt?
Und doch hast Du ihn nur um ein Geringes unter die Engel gestellt,
mit Ehr ihn gekrönt und mit Herrlichkeit;
Du hast ihm Macht über das Werk Deiner Hände gegeben,
alles zu seinen Füßen gelegt:
die Schafe und Rinder alle,
dazu das Getier in Wald und Feld,
die Vögel des Himmels, die Fischer der See,
und was auf den Straßen der Meere zieht.
Herr, unser Herr,
wie wunderbar ist auf der weiten Erde Dein Name!

GEBET

Gott, Quelle des Lebens, du hast unsere Welt reich und bunt geschaffen.
Du hast die Menschen mit ganz verschiedenen Gaben ausgestattet.
Bewahre uns davor, den Reichtum deiner Schöpfung
auf unsere Vorstellungen und Wünsche einengen zu wollen.
Lass uns deiner Güte vertrauen.
Darum bitten wir im Namen Jesu Christi, der mit dir und dem Heiligen Geist
lebt und regiert in Ewigkeit. Amen.

 

SEGENSGEBET

Gott segne und behüte uns.
Er blicke uns freundlich an und sei uns gnädig.
Gott sei uns nahe und schenke uns Frieden.

Gott segne und behüte uns,
er schenke uns jeden Morgen neue Kraft und neuen Mut,
weil seine Gnade über uns leuchtet wie die helle Sonne,
er stärke unser Vertrauen und gebe uns Frieden.

Gott segne und behüte uns.
Er schütze unser Leben und bewahre unsere Hoffnung.
Gott, lasse Dein Angesicht leuchten über uns,
dass wir leuchten können für andere.
Gott, erhebe dein Angesicht auf uns und halte uns fest
im Glauben, dass das Leben lebendiger ist als der Tod. Amen.

von Karl Kardinal Lehmann, Bischof em. von Mainz

Copyright: Karl Kardinal Lehmann, Mainz