Albert Stohr (1890–1961)

1935–1961 105. Bischof von Mainz

 

Albert Stohr wurde am 13. November 1890 in Friedberg (Oberhessen) als Sohn des Reichsbahn-Obersekretärs Emil Stohr und seiner Ehefrau Elisabeth Braun geboren. Er besuchte die Grundschule und das Gymnasium seiner Heimatstadt und nach dem Abiturientenexamen (1909) das Mainzer Priesterseminar. Nach der Priesterweihe, die er am 13. Oktober 1913 empfing, wurde er zunächst Subrektor im Konvikt zu Mainz, 1915 Kaplan in Mainz/St. Emmeran, 1916 Subrektor am Konvikt in Bensheim, 1918 Kaplan in Viernheim und 1919–20 Vertreter des im Hessischen Landtag tätigen Professors Georg Lenhart am Lehrerseminar in Bensheim.

1920–21 folgte ein Studienaufenthalt in Freiburg, wo er 1921 aufgrund einer bei Engelbert Krebs angefertigten dogmengeschichtlichen Dissertation zum Dr. theol. promoviert wurde. Daran schlossen sich Studienaufenthalte in Berlin und Rom (Kolleg der Anima) an, wo er am Cursus pro magisterio teilnahm und Martin Grabmann kennenlernte, bei dem er sich 1923 für Dogmatik habilitierte. Zuvor war er 1922–23 Pfarrverwalter in Dietersheim und Ober-Hilbersheim gewesen. 1924 wurde Stohr jedoch nicht zum Dozenten der Dogmatik, sondern der Kirchengeschichte und Homiletik am Mainzer Priesterseminar ernannt. 1925 erfolgte seine Ernennung zum Professor. 1926–35 hatte er dann den Lehrstuhl für Dogmatik inne. Dazu versah er 1925–32 den Lehrstuhl für theologische Propädeutik am Pädagogischen Institut in Mainz.

Außerdem war er Mitarbeiter der Zweigstelle des Deutschen Instituts für wissenschaftliche Pädagogik in Eltville sowie bei den volkstümlichen Vorlesungen im Frankfurter Hof, ferner im Akademikerverband und in der Görres-Gesellschaft. Weiteren Kreisen wurde er ferner als Exerzitienmeister für Lehrer, Lehrerinnen und Studenten bekannt. 1931–33 war er Abgeordneter des Zentrum im Hessischen Landtag. Trotz dieser vielfältigen Aufgaben war er auch ständiger Mitarbeiter an mehreren wissenschaftlichen Zeitschriften für Dogmatik und Homiletik.

Nach dem Tode von Bischof Hugo wählte das Mainzer Domkapitel Stohr am 10. Juni 1935 zum Bischof. Die päpstliche Bestätigung folgte am 17. Juli, die Konsekration durch Erzbischof Gröber am 24. August 1935 im Mainzer Dom. Das erste Jahrzehnt von Stohrs Episkopat wurde durch die zunehmende Zurückdrängung des katholischen Verbandswesens und später durch die Kriegsereignisse bestimmt, die auch die Bischofsstadt schwer trafen. Bereits auf seine Konsekration war der Schatten des Kirchenkampfes gefallen, da es Stohr nicht möglich gemacht worden war, zuvor den üblichen Treueeid auf die Verfassung abzulegen. Stohr, der klug auf den Nationalsozialismus reagierte, war insbesondere maßgebend an der Entwicklung neuer kirchlicher Arbeitsmethoden beteiligt. Nachdem die Fuldaer Bischofskonferenz ihn 1937 zum Jugendreferenten ernannt hatte, bemühte er sich namentlich zusammen mit Ludwig Wolker um eine verinnerlichte Jugendseelsorge und nach dem Zweiten Weltkrieg um neue Formen kirchlicher Jugendarbeit.

Damit verwandt war seine Aufgabe als Liturgiereferent der Bischofskonferenz, die er 1941 zusammen mit Bischof Landersdorfer übernahm. Ging es der liturgischen Bewegung um die Erneuerung des religiösen Lebens aus dem Geist der Liturgie, so bemühte sich Stohr um eine Erneuerung der Liturgie aus dem Geist der Seelsorge. An den Richtlinien der deutschen Bischöfe zur Gestaltung des liturgischen Gottesdienstes, am deutschen Psalter, an der Neuordnung der Heiligen Woche und an den Vorarbeiten der Brevierreform hat er wichtigen Anteil gehabt. In schwierigen Verhandlungen hat er in Rom die Anerkennung des deutschen Rituale (1950) durchgesetzt. Nach der Überwindung großer regionaler Schwierigkeiten vollzog dieses Werk einen beachtlichen Schritt zur muttersprachlichen Liturgie und ist damit eine Vorstufe zur Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils geworden. Im Dienst der Vertiefung des Lebens mit der Kirche stand auch das neue Gesangbuch von 1952.

Angesichts der gemeinsamen Gefährdung der christlichen Kirchen durch den Nationalsozialismus hatte Stohr schon in seinem ersten Hirtenbrief zur Besinnung auf die gemeinsame christliche Substanz aufgerufen. Seitdem bildete sich um ihn ein Kreis suchender Menschen, der weit über das Bistum hinausreichte und aus dem viele geistig hochstehende Konvertiten hervorgegangen sind. Er hat auch vom Heiligen Stuhl die Genehmigung erhalten, konvertierten evangelischen Geistlichen, die ihre Ehe weiterführten, die Priesterweihe zu erteilen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war es Stohr gegeben, sein Bistum auch während der grundlegenden Aufbauphase zu leiten. Bereits im März 1945 hatte er als Ziele der Nachkriegsarbeit die Sammlung, Wiederaufrichtung, Vertiefung und Verinnerlichung des religiösen Lebens bezeichnet. Im Sommer 1945 formulierte er als Grundsätze des Wiederaufbaus das Bekenntnis zum Vaterland, zum Rechtsstaat, zum christlichen und sozialen Staat. Eine Kollektivschuld lehnte er ab. Im Mai 1945 besuchte er mehrere Kriegsgefangenenlager im Raume Mainz, 1947 in Frankreich, wobei er den Gefangenen manche Erleichterungen verschaffen konnte.

Stohr gründete ferner ein Seelsorgeamt. 1948 erfolgte die Gründung des Kettelerwerkes als Zusammenschluss der katholischen Männervereine. Unter Stohr erfolgte nicht nur die Wiedereinführung des Religionsunterrichtes in die öffentlichen Schulen sowie die teilweise Wiederherstellung der Bekenntnisschulen, sondern 1946 wurde auch die beim Mainzer Priesterseminar bestehende Lehranstalt der neugegründeten Universität Mainz als Theologische Fakultät eingegliedert. Die Universität verlieh Stohr damals den Dr. jur. h. c. Für die Bildungsarbeit unter Akademikern gründete er zusammen mit den Bistümern Fulda und Limburg in gemeinsamer Trägerschaft die Rabanus-Maurus-Akademie. Auch die Gründung der Gesellschaft für mittelrheinische Kirchengeschichte (1949) hat er unterstützt.

Von Mut und Tatkraft zeugte auch der vom 1.–5. September 1948 wenige Wochen nach der Währungsreform durchgeführte Katholikentag (180 000 Teilnehmer) in dem noch stark zerstörten Mainz. Dort forderte Stohr in einer vielbeachteten Ansprache u. a. die Einstellung der Demontage, die Freilassung der deutschen Kriegsgefangenen und die Einstellung der Überfremdungsversuche deutscher Schulen nach französischen Maßstäben.

Stohr erlebte nach dem Krieg das Einströmen zahlreicher katholischer Heimatvertriebener, durch die u. a. die Struktur der oberhessischen Diaspora erheblich verändert wurde. Dadurch stieg die Zahl der Katholiken im Bistum Mainz von 450 000 (1940) auf 620 000 (1950). Stohr hat während seines Episkopates über 100 neue bzw. restaurierte Kirchen konsekriert und 92 neue Seelsorgestellen eingerichtet. Während die Diözesansynode von 1937 vor allem auf die damalige gesellschaftliche und politische Situation zu antworten suchte, entwarf eine weitere Synode 1955 neue Diözesanstatuten, die jedoch durch das Zweite Vatikanische Konzil überholt wurden.

Anlässlich der Feier seines 25jährigen Bischofsjubiläums konnte Stohr 1960 den neuen Hochaltar des seit 1955 von seinen Kriegsschäden wiederhergestellten Domes konsekrieren. 1959 erfolgte Stohrs Berufung in die Theologische Kommission zur Vorbereitung des Zweiten Vatikanischen Konzils, doch erlebte er dessen Beginn nicht mehr, da er am 4. Juni 1961 auf einer Firmungsreise überraschend in Seligenstadt starb. Er wurde im Mainzer Dom beigesetzt.

Anton (Philipp) Brück

Text aus: Gatz, Erwin (Hg.), Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder. Ein biographisches Lexikon. Teil: 1785/1803 bis 1945, Berlin: Duncker und Humblot 1983, S. 741–743. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

 

Weitere Literatur:

  • Braun, Hermann-Josef, „Solange wir noch Truppen hinter uns haben, müssen wir zum Kampfe antreten“. Albert Stohr 1890–1961. Bischof von Mainz 1935–1961, in: Zumholz, Maria Anna / Hirschfeld, Michael (Hrsg.), Zwischen Seelsorge und Politik. Katholische Bischöfe in der NS-Zeit, Münster: Aschendorff Verlag 2017, S. 437–458.
  • Hülsbömer, Raphael, Eugenio Pacelli im Spiegel der Bischofseinsetzungen in Deutschland von 1919 bis 1939, 4 Bde., Darmstadt: wbg academic 2019, Bd. 3, S. 485–508.
  • Jürgensmeier, Friedhelm, Stohr, Albert, in: Gatz, Erwin (Hg.), Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder. Ein biographisches Lexikon. Teil: 1945 bis 2001, unter Mitw. von Franz Xaver Bischof, Clemens Brodkorb, Anton Landersdorfer, Josef Pilvousek und Rudolf Zinnhobler, Berlin: Duncker und Humblot 2002, S. 356–359.
  • Lehmann, Karl (Hrsg.), Dominus Fortitudo. Bischof Albert Stohr (1890–1961) (= Neues Jahrbuch für das Bistum Mainz. Beiträge zur Zeit- und Kulturgeschichte der Diözese 2011), Mainz – Würzburg: Publikationen Bistum Mainz – echter 2012.
  • Lehmann, Karl, „Dominus Fortitudo – Der Herr ist meine Stärke.“ Bischof Dr. Albert Stohr (1890–1961). Hirte in schwieriger Zeit, in: Felten, Franz J. (Hrsg.), Mainzer (Erz-)Bischöfe in ihrer Zeit (= Mainzer Vorträge 12), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2008, S. 143–165.
  • Walter, Peter, „Auch heute noch höchst wertvolle Arbeiten“. Albert Stohrs Beitrag zur theologischen Wissenschaft, insbesondere zur Theologiegeschichte, in: Walter, Peter, Syngrammata. Gesammelte Schriften zu Theologie und Kirche am Mittelrhein, hg. von Claus Arnold (= Beiträge zur Mainzer Kirchengeschichte 8), Würzburg: echter 2015, S. 505–536.